Die Voraussetzungen

Die Teilnehmer
Wer teilnimmt ist klar, aber über das Abschneiden der Beteiligten darf spekuliert werden! Fakt ist auch, dass seit dem Weltmeisterschaftsturnier von 1948 in Den Haag/Moskau - welches Michail Botwinnik für sich siegreich gestalten konnte - die Weltelite das erste Mal in einem doppelrundigen Turnier der Besten ermitteln wird. In den Jahrzehnten zuvor wurde der Champion über Kanditatenmatche bzw. über die seit Ende des letzten Jahrtausends durchgeführten K.O.-Weltmeisterschaften ermittelt, mit dem Resultat: viele Weltmeister und Verwirrung. Ein Neuanfang ist möglich und die Antwort auf die Frage nach dem 15. Schach-Weltmeister wird gefunden werden.
Viswanathan Anand (Indien)
Anand ist neben Weselin Topalow mit 2788 die derzeitige Nummer 1 der Weltrangliste und gilt mit 35 Jahren als "Dinosaurier" des Wettkampfes. Gleichsam ist es eventuell seine letzte Chance nochmal nach der Krone zu greifen. Von 2000 - 2002 hielt er den FIDE-Titel in seinem Besitz und ist nicht nur aufgrund der jahrelangen Präsenz in den Top 3 der Weltrangliste als Mitfavorit.


Topalow (ELO 2788) hat in diesem Jahr schon mehrfach Schach-Geschichte geschrieben: So fügte er in Linares (Spanien) bei seinem geteilten Sieg mit Kasparow letzterem in seiner letzten aktiven Partie eine empfindliche Niederlage bei, um beim Mobitel Masters in Sofia (Bulgarien) im Mai 2005 alleine auf dem Siegertreppchen zu stehen und Vishy Anand in der ELO-Liste einzuholen. Beim Sparkassen-Chess-Meeting in Dortmung gelang er hinter Überraschungssieger Naiditsch auf den zweiten Platz und wurde in seinem Heimatland zum Helden erklärt. Weselin Topalow, der seit 1992 Großmeister ist, spielt momentan wohl das aggressivste Schach und ist oft auch mit den schwarzen Steinen auf der Suche nach Initiative und dem ganzen Punkt. Risiko kann sehr viel Erfolg versprechen (wie es Kasparow jahrelang bewies), kann aber auch schnell ins Gegenteil umschlagen. Topalow ist damit wohl in jeder Hinsicht unberechenbar.

Peter Swidler (Russland)

Mit 2738 ELO-Punkten ist Peter Swidler Nummer 7 der Weltrangliste. Gerade eben konnte er in Mainz gegen Zoltan Almasi (Ungarn) zum wiederholten Male den Weltmeistertitel im Schach-960 verteidigen. Der mehrfache russische Meister blieb im Sparkassen-Meeting in Dortmund in diesem Jahr als einziger ungeschlagen und konnte dort seinen einzigen ganzen Punkt gegen Leko erringen. Hat der erfindungsreiche und privat zurückhaltende Profi dort seine Gegnerschaft nur "ausspioniert"?

Michael Adams (England)
Im Prinzip ist Michael Adams der einzige Vertreter 'westlicher Kultur' und mittlerweile "nur" noch auf Platz 13 der Rangliste (ELO 2713). [In der Juli-Rangliste haben sich die Top-Spieler Wassili Iwantschuk, Alexej Schirow und Etienne Bacrot in die Top 10 geschoben.] 1997 bei der FIDE-WM in Groningen unterlag er im Finale Anand in einer Blitzpartie und konnte auch im letzten Jahr im Finale in Tripolis gegen den Kasimdschwanow nicht den Titel erlangen. In San Luis werden keine Blitz- oder Tiebreak-Partien ausgetragen, was vielleicht für ihn von Vorteil ist. Im Prinzip hat ihn keiner auf der "Rechnung". Er bezwang zwar Topalow sowohl in Wijk an Zee als auch in Dortmund, konnte aber in den großen Turnieren diesen Jahres nur Mittelfeldplätze belegen.

Alexander Morosewitsch (Russland)
Ebenfalls aufgrund zuletzt sinkender Form aus den Top 10 herausgerutscht ist Alexander Morosewitsch (Platz 14, ELO 2707). In Wijk aan Zee wurde er zum Beispiel nur Vorletzter, konnte aber wenigstens Kontrahent Grischuk besiegen. Morosewitsch ist bekannt dafür, dass er ausgetretene Pfade der Theorie gern verlässt und zum Beispiel zu Systemen wie der Tschigorin-Verteidigung oder dem Linksspringer 1. Sc3 greift. Damit kann er zum unangenehmen Gegner avancieren.
Rustam Kasimdschanow (Usbekistan)
Laut der Fachpresse wohl der "Schwächste" aller Teilnehmer, aber man darf nicht vergessen, dass er beim Erringen seines Titels Ende letzten Jahres im Halbfinale erst Topalow und später im Finale Adams bezwang. Auf beide trifft er in diesem Turnier wieder und der Usbeke könnte das Zünglein an der Waage spielen. Außerdem sollte man nicht vergessen, dass der Aussenseiter Arkadi Naiditsch im Juli 2005 in Dortmund fast die ganze Welt-Elite foppte und das Top-Turnier zu Überraschung aller gewann.


Einen Top-Favoriten kann man sicherlich nicht nennen und ich selbst rechne mit keiner Entscheidung vor der letzten Runde, dabei sind wahrscheinlich mentale Stärken und die Entwicklung innerhalb des Turnieres ausschlaggebend für den Ausgang. Ein Gewinner steht jetzt schon fest: der Schach-Fan, der sich auf eine hoffentlich spannende Weltmeisterschaft freuen kann, bei welcher sicherlich auch ein Großteil der Remis-Partien ausgekämpft sein werden!
Übrigens sind eventuell ganz andere Faktoren für das Erringen der Weltmeisterschaft entscheidend als monatelange Vorbereitung, Analyse, Fitness-Training und Nervenstärke. Beim Sparkassen-Meeting in Dortmund gewannen alle Teilnehmer deren Partner anwesend war die erste Runde und vielleicht kann dieser Sieg der Grundstein auf dem Weg zum Gipfel sein ...

(C) Frank Große, 2005